Vera Lang – „Fließend“ – Malerei im Palais Hirsch – 4.-27. März 2022
Vera Lang hat in Dresden und Berlin Kunst studiert und lebt nun in Dresden. Ihre Jugend verlebte sie in Brühl bzw. Schwetzingen und freut sich sehr darauf, in ihrer alten Heimatstadt auszustellen. Ihre Gemälde muten auf den ersten Blick abstrakt an, doch ist Wasser der amorphe ‚Gegenstand’ ihrer Bilder. Dazu schreibt sie selbst: „Das Wasser in seinen sehr unterschiedlichen Erscheinungsformen dient dabei als Gleichnis für das Leben und den ständigen Wandel. Ich will nicht abbilden, sondern ergründen.“
Panta rhei, alles fließt, ist eine berühmte Formel der antiken griechischen Philosophie, die die Welt als ein ewiges Werden und Wandeln begriff. Fließend heißt die Ausstellung der Vera Lang, die sich in ihren Bildern ganz dem Element des Wassers verschrieben hat. Kein anderes Element verkörpert diese Philosophie wie das Wasser, das sich ebenfalls in einem ewigen Fluss befindet und als eine Allegorie auf das Leben betrachtet werden kann.
Als Bildsujet freilich ist Wasser eher selten, in der Kunstgeschichte erscheint es vereinzelt als Illustration der Bibel, wie im Alten Testament bei der Darstellung der vier Paradiesflüsse oder bei der Sintflut. Aus dem Neuen Testament haben Maler das Wasser bei der Taufe Christi mehr oder weniger realistisch illustriert, wie auch die Wunder im und um den See Genezareth. Seit Renaissance und Barock kennen wir auch antike Themen rund um Wassergötter, Nymphen und Tritonen. Wasser bleibt jedoch bei allen Sujets ein primär landschaftliches Motiv. Im 18. Jahrhundert werden profane Bilder von Seeschlachten und so genannte Kapitänsbilder beliebt, Porträts von Segelschiffen. Nur langsam entwickelt sich eine maritime Malerei, die mit ihren Seestücken das Meer als Naturgewalt zu schildern beginnt. Der Blick zielt freilich immer noch auf Schiffe oder Menschen am Rande, auf Motive und Sujets also, die erst im 19. Jahrhundert verschwinden sollten, um das Meer oder andere Gewässer als Hauptgegenstand eines Gemäldes zu begreifen. Solche reinen Seestücke aber bleiben selten, weil sie genuin gegenstandslos sind und keine Abbildfunktion mehr erfüllen. Sie leben vom Verlauf der Farben und amorphen Formen, so dass sie die informelle Malerei des 20. Jahrhundert vorwegnehmen.
Vera Lang lässt sich von Gewässern, von Bächen, Tümpeln und der gleichen inspirieren und beginnt jedes Bild mit einer Art Momentaufnahme von natürlichen Wasseroberflächen. Diese ändern freilich mit jeder Sekunde ihr Aussehen, denn alles fließt, und die Reflexe des Lichtes lassen sich kaum einfangen. Selbst Fotografen haben Mühe, Wasser optisch zu fixieren. Doch Vera Lang will, wie sie selbst schreibt, nicht abbilden, sondern ergründen. Ihre Malweise geht in das Medium des Wassers über und wird dabei selbst zu einem Malfluss, der die optischen Strukturen einer Wasseroberfläche lediglich nachempfindet, schnell aber zum eigentlichen Thema wird. Mit ihren fließenden Farben und Formen generiert sie ein eigenes, sich selbst erfindendes Gewässer, ein Gewässer der Gesten und Gefühle, die wie schwimmend durch das Medium gleiten.
Auch die Geistesgeschichte kennt das Wasser als archaisches Symbol. Es gilt traditionell als Element des genuin Weiblichen und ist in den ältesten Mythen der Menschheit stets der Magna Mater, der großen Mutter, geweiht. Es steht für die weibliche Fruchtbarkeit und das lunare Prinzip. Aus dem Wasser stammt das Leben, es ist der Schoß der Welt, als Fruchtwasser zugleich der Schoß eines jeden Individuums.
In der modernen Psychologie und Traumdeutung gilt Wasser als Symbol des Unterbewusstseins. Dieser Aspekt mag insbesondere für die Kunst der Vera Lang eine Rolle spielen. Die Farben und Formen ihrer Gemälde werden intuitiv gewählt und spiegeln Gefühle wider, die sich erst auf der Leinwand konkretisieren und manifestieren. In diesem Sinne könnte man auch von Psychogrammen sprechen, die dem unbewussten Seelenleben eine Sprache verleihen.
Vor Corona war die Welt noch eine andere, müßiger, vielleicht auch poetischer und weniger dramatisch. In den älteren Bildern vor Corona dominieren Wahrnehmungsthemen, insbesondere in der mit dem englischen Wort „glimpse“ betitelten Serie, die den ,flüchtigen Moment‘ einfangen will. Aber auch in neueren Arbeiten behauptet die Poesie ihren Platz und widmet sich in der Arbeit „Hirschgruppe“ den Brunnen und Wasserspielen im Schwetzinger Schlosspark, die zu einer ganz persönlichen Allegorie auf ihre Heimat und ihre Familie inszeniert werden.
In allen Bildern der Vera Lang findet sich eine bewegte Gefühlswelt, die nach Harmonie und Schönheit sucht, aber auch Zorn und Ärger, aggressive Reaktionen auf die Welt jenseits der Leinwand hervorbringt. Gerade die neuesten Bilder mit dem Titel „Freischwimmer“ reagieren ganz konkret auf die aktuelle Corona-Situation, der Vera Lang eine große Kreativität entgegensetzt. Hier taucht sie unter die Wasseroberfläche und zeigt uns neben abstrakter Malerei auch gegenständlichen Motive: Fische, die sie in der Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit ihrer Bewegungen einfangen will. „Sie“, so schreibt sie selbst, „pfeifen auf Ausgangssperren, Landesgrenzen, Maskenpflicht usw. Sie schwimmen unbehelligt herum, besonders die Jungen bilden ganze Schwärme. Sie lassen Nähe zu oder sind Einzelgänger, jeweils in dem Maße, wie es für ihr Überleben und ihr Wohlbefinden erforderlich ist. Davon können wir Menschen derzeit nur träumen.“
Dr. Dietmar Schuth