Engel – 28.11. – 20.12.2015 in der Schlosskapelle
Auch Engel sind nur Menschen
Engel sind das Thema dieser Ausstellung in der Schlosskapelle Schwetzingen mit Holzskulpturen des jungen Bildhauers Thomas Hildenbrand, die der Kunstverein Schwetzingen in der Adventszeit stimmungsvoll präsentiert. Ein passendes Ambiente also, in dem sich diese geheimnisvollen Wesen zwischen Himmel und Erde wohl fühlen können. In dem klassizistischen Bau aus dem späten 18. Jahrhundert weht freilich schon der Geist der Aufklärung: Er ist schlicht, fast kalt und protestantisch, so dass die katholisch anmutende Figurenwelt des Künstlers sehr lebendig zur Geltung kommt.
Auch der Künstler selbst, der übrigens gar nicht katholisch ist, mag sich hier im Schloss Schwetzingen wohlfühlen, einer einst mittelalterlichen Wasserburg, die im 18. Jahrhundert zur barocken Sommerresidenz der Heidelberger Kurfürsten von der Pfalz ausgebaut wurde. Im weltberühmten Garten stehen Steinskulpturen berühmter Kollegen wie der „Lykische Apoll“ von Paul Egell, ein Meisterwerk des späten Rokoko mit der für den Künstler typischen Längung der Figur. Egells Schüler Ignaz Günther sollte diese Eigenart in seinen nahezu gotisch anmutenden Skulpturen weiter entwickeln. Auch Egells Nachfolger im Amt des kurfürstlichen Hofbildhauers, Peter Anton von Verschaffelt, zeigt mit seinem „Apoll“ in Schwetzingen einen überaus schlanken Athleten. Thomas Hildenbrand kennt und schätzt diese alten Kollegen alle sehr. Seine eigene Kunst besitzt unverkennbar gotische Merkmale wie auch barocke Elemente, eine reizvolle Stilsymbiose, die Ende des 18. Jahrhunderts ihren Anfang nahm.
Thomas Hildenbrand ist ein gelernter Holzbildhauer, der in der renommiertesten Schule dieser Zunft in Oberammergau studiert hat. Heute gilt diese Ausbildung als eine durchaus akademische, die mit dem kommerziellen Kitsch der Tourismusindustrie nur noch wenig gemein hat. Er ist ein kunsthistorisch überaus kundiger Künstler, der alle Traditionen kennt und doch sehr modern zu adaptieren weiß. In diesem Sinne sind seine Skulpturen keine frommen Vesperbilder, sondern Kinder des 21. Jahrhunderts, die sich oft nur vordergründig mit Religion beschäftigen.
Nicht alle gezeigten Arbeiten von Thomas Hildenbrand sind Engel, doch schwebt dieser Titel über der Ausstellung als Oberbegriff für Figuren, die alle zwischen den Dimensionen stehen bzw. fliegen. Das gilt auch für antike Motive wie den Phönix, den Hypnos oder den Jüngling in der Arbeit „Von oben“, der mit seinem zerbrochenen Flügelkonstrukt an Ikarus erinnert. Richtige Engel finden sich in den frühen Arbeiten „Kumulus“ und „Unendliches Band“, wo der Künstler noch den Typ des nackten Barockputto zeigt. Ihnen muss das Fliegen allein aufgrund ihrer eher unsportlichen Gestalt schwerfallen, während die jüngeren Arbeiten alle schlanke Leichtgewichte darstellen. Hier verwirklicht Hildenbrand den mittelalterlichen Engelstypus, den man seit dem 13. Jahrhundert dem Schönheitsideal des Jünglings nachempfunden hatte. Eigentlich haben Engel kein Geschlecht, wurden in der frühen Kunstgeschichte jedoch mit Vorliebe männlich phantasiert. Allerdings waren sie stets keusch bekleidet, während Hildenbrand sie meist halbnackt zeigt, wie im Barock, und mit einer deutlichen Betonung ihres männlichen Geschlechts pointiert.
Weibliche Figuren sind bei Thomas Hildenbrand sehr selten, in dieser Ausstellung findet sich nur die Arbeit „Kokon“, die hauptsächlich aus einem blauen, in spätgotischen Schüsselfalten aufgewühlten Kleid besteht und an eine mütterliche Maria erinnert. Der Künstler erzählt, dass er oft mit einer Frau beginnen will, die am Ende aber immer wieder zu einem Mann gerät. Denn es geht dem Künstler gar nicht so sehr um eine erotische oder gar narzisstische Kunst. Ihn interessiert der menschliche Körper, den er – wie schon in der Spätgotik und dem späten Rokoko – in einer oft schmerzlichen Spannung streckt und mit theatralischen Gesten und Bewegungen lebendig macht. Oft zersägt der Künstler diese Körper und reißt den geschundenen Leibern auch die Engelsflügel ab. Trotzdem gelingt es diesen sehr menschlichen Schmerzensmänner immer wieder, die Schmerzen und die Schwerkraft zu überwinden, so wie es nur echte Engel können.
Dr. Dietmar Schuth