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Ein sperriger Titel für die Ausstellung des Kunstvereins Schwetzingen, doch er passt zu den Skulpturen der Bildhauerin Michaela Johanne Gräper und ihrer Person. In Oberammergau geboren hat sie sich schon früh für die handwerklichen und künstlerischen Traditionen ihres bayrischen Heimatortes interessiert. So erlernte sie das klassische Kunsthandwerk der Holzschnitzerin, was im letzten Jahrhundert für Frauen noch ungewöhnlich war. Mädchen war es z.B. lange verboten, eine Kettensäge zu benutzen. Gerne hätte sie auch Schreiner gelernt, doch alle Meister lehnten sie ab, weil sie dann eine zweite Toilette hätten bauen müssen.

Solchen Hindernissen zum Trotz hat Michaela Johanne Gräper nicht nur das Handwerk gelernt, sondern in München an der Akademie der Bildenden Künste Bildhauerei studiert. Heute lebt sie im oberbayrischen Burggen. Der Kunstverein Schwetzingen zeigte schon 2008 eine ihrer Skulpturen in der Fussgängerzone (Im Wege Stehend) und 2024 ihre Carl-Theodor-Statuette in der Orangerie.

Ihre Holzskulpturen sind figurativ, meist weiblich und farbig gefasst. Auch das, die Fassmalerei hat eine Tradition, die bis ins Mittelalter reicht. Ja, ihre Figuren sind meist in bunten heiteren Farben gehalten. Viele erscheinen in einem nackten Rosa, andere in babyblauen Badeanzügen oder im Negligé. Manche treten im Abendkleid auf, mit Stöckelschuhen und bizarren Hüten.

Das signifikanteste Merkmal ihrer Frauenfiguren, die sie selbst Weiber nennt, ist aber ihre Korpulenz. Sie selbst ist keineswegs adipös, doch ihre Weiber werden meist in barocker und sehr sinnlichen Leibesfülle dargestellt, die an Peter Paul Rubens erinnern. Viele Arbeiten sind sehr humorvoll, wie die Arbeit LANDSITZ, wo Europa nicht als

Beutestück auf einem göttlichen Stier reitet, sondern auf dem Rücken einer Kuh zu schlafen scheint.

Niki de Saint Phalle war sicherlich die erste Künstlerin, die ein neues korpulentes Schönheitsideal propagierte. Damals in den 50er und 60er Jahren galten knabenhaft zierliche Frauen wie Audrey Hepburn oder das britische Fotomodell Twiggy als besonders schön und begründeten den Schlankheitswahn, der bis heute noch viele Frauen quält. Michaela Johanne Gräper aber findet ihre dicken Weiber schön, die auch jedem Betrachter schnell sympathisch werden.

Schaut man in der Kunstgeschichte noch weiter zurück, sind da natürlich die Figuren aus der Steinzeit, weibliche Fruchtbarkeitssymbole, die gerne als Venus bezeichnet werden und die kultische Verehrung von Muttergottheiten zum Ausdruck bringen. In einer Serie von kleinen Bronzestatuetten zeigt Michaela Gräper eine vergleichbare Formensprache. Auch die Arbeit EYESIR offenbart drei solcher archaisch anmutenden Idole, die zudem spitze Kegel tragen, die an die berühmten Goldhüte der Bronzezeit erinnern.

Doch Michaela Gräper ist keine Feministin, vielmehr eine kritische Zeitgenossin, die mit ihrer Kunst alle Menschen ermutigen will, selbstbewusster zu sein, Klischees zu hinterfragen und kein Bodyshaming zuzulassen. Das gilt auch für Männer. Darüber hinaus interessiert sich die Künstlerin für andere sozialkritische Themen, zeigt Menschen mit schwarzer Hautfarbe oder zwei Männer, die sich küssen. Sie attackiert den Militarismus, parodiert immer wieder den Kampf der Geschlechter und nimmt auch ihre Heimat gerne mit bayrischem Humor aufs Korn. Dr. Dietmar Schuth